Navigieren in Huttwil

Vorprojekte der Berner Fachhochschule

Dencity in Huttwil

Der Kompetenzbereich Dencity untersuchte ab 2018 die damals für Huttwil akuten Ursachen und Wirkungszusammenhänge des Leerstands in der Gemeinde – mit aktiver Beteiligung der Huttwiler Bevölkerung. Hinter den nackten Zahlen verbirgt sich eine Entwicklung in der Raumplanung, die volkswirtschaftlich und kulturell einen langfristigen
und negativen Effekt für weitere Gemeinden und Regionen in der Schweiz nach sich ziehen könnte.

Auf Basis der Erkenntnisse, aus qualitativer und quantitativer Analyse und der wissenschaftlichen Interpretation von Ursachen und Wirkung bestätigte sich die These, dass die Ursache des Leerstandes eine sich bereits in den letzten Jahren abzeichnende Überlagerung mehrerer Faktoren ist: eine zu hohe Baulandausweisung an suboptimalen Orten,
die Entwicklungen im Reurbanisierungsprozess und Kapitalisierung des Bodens sowie die Zinspolitik sind die wichtigsten Treiber, die sich nicht nur überlagern sondern gegenseitig kumulieren.

In den letzten 4 Jahren hat sich die Fragestellung für Huttwil und die Region Oberaargau erweitert. Ganzheitliche Siedlungsentwicklung nach Innen, Verdichtung und Transformation sind wichtige Werkzeuge der Raumentwicklung geworden. Man ist sich bewusst, dass die die historischen Zentren gestärkt und revitalisiert werden sollen. Die Pandemie hat uns die Pendler-Landschaft neu überdenken lassen und damit auch Fragen der regionalen Vernetzung von Wohnen, Arbeit und Freizeit - Stichwort Kreislaufwirtschaft - aktualisiert. Gerade letzteres mit einer Ressourcen-Bilanz im Zentrum lässt einen immer den Boden als knappes Gut bewusst werden und als ein fundamentales Element unserer Planungsgrundlagen erkennen. Um diese Zusammenhänge ganzheitlich zu bearbeiten ist aus Sicht von Dencity ein partizipativer Ansatz unumgänglich. Mit der «Städtliwerkstatt» wurde im Rahmen der Zusammenarbeit Huttwil-BFH ein Instrument geschaffen und aktiviert.
 

Projekte der Architekturstudenten

Die Architekturstudenten der Berner Fachhochschule haben 2020/2021 zur räumlichen Entwicklung im Städtlikern Huttwil verschiedene Projektideen erarbeitet. Die Ergebnisse wurde Corona bedingt nur in einer virtuellen Jahresausstellung präsentiert. Um diese auch den Huttiwilerinnen und Huttwiler zu präsentieren, fand im Frühling 2022 eine Ausstellung und ein Städtlispaziergang statt.  Der Gemeinderat war der Meinung dass diese Projektideen einen guten Einstieg in die Thematik der Gemeindeentwicklung ermöglichen.

Ein neuer Weg beginnt manchmal nicht damit, Neues zu entdecken, sondern Altbekanntes mit ganz anderen Augen zu betrachten. Diese Möglichkeit bekam Huttwil durch die Zusammenarbeit mit dem Fachbereich Architektur der Berner Fachhochschule. Rund 200 Studierende in zwölf Ateliers haben in Projekten an diesen Aufgabenstellungen gearbeitet. Dabei entsteht eine Vielfalt an Ideen, welche die Gemeinde in ihre Entwicklung einbeziehen kann.

In der Ausstellung wurde eine Auswahl davon gezeigt, gegliedert in drei Themen:

1. Ressourcen:
Projekte, welche sich mit den vorhandenen Ressourcen auseinandersetzen oder an bestehende Infrastrukturen anschliessen.

Das gebaute Huttwil hat den Anschluss an die Huttwilerinnen und Huttwiler verloren. Gerne würden die alten Gemäuer wieder das einstige Stedtlileben mit ländlicher Prägung tragen, denn auf diese Aufgabe sind sie ausgelegt. Doch die Menschen in Huttwil, wie auch die sonstige Bevölkerung in der Schweiz und Mitteleuropa, sind durch urbanisierte Arbeits- und Lebensformen geprägt. Es scheint, als ob das Bühnenbild Huttwil nur noch geringfügig eine Verbindung zum Alltagsspiel der Menschen in Huttwil aufbauen könnte. Bedeutet dies nun, dass die bestehenden Strukturen die Zukunft und Hoffnungen nicht mehr tragen können? Nein. Zwar verhielt sich Huttwil in den letzten Jahren mit ihrer räumlichen Entwicklung genau so, als wäre nur das Neue fähig, die Zukunft zu tragen. Anstelle in den Bestand zu investieren um diesen für die aktuellen Aufgaben fit zu machen, entstand ein Schatten-Huttwil am Rande des Siedlungsraums. Diese Entwicklung führte dazu, dass Huttwil zwei wichtige Ressourcen verlor. Die erste Ressource sind die Menschen, die im Kern eine wichtige Rolle der Beseelung hätten übernehmen können. Sie sind an den Rand, weg aus dem Kern gezogen. Die zweite substanzielle Ressource die Huttwil verlor, ist der Kulturboden. Dabei geht es nicht darum, dass Landwirtschaftsland eingebüsst wurde, vielmehr ist Boden eine irreversible Ressource, deren Entstehung weit über den menschlichen Massstab hinaus reicht und von zentralster Bedeutung für das Klima und die Biodiversität ist. Das Atelier Areal hat nach Lösungen gesucht, wie mit den bestehenden Ressourcen im Kern eine nachhaltige Ressourcenbilanz für Huttwil geschaffen werden kann. Dafür wurden bestehende Bauten neu organisiert, umgebaut und angebaut. Lücken wurden zu neuen Gesichtern, Resträume zu Stedtliraum. Die Arbeiten zeigen auf, dass die bestehenden Ressourcen von Huttwil die Bedürfnisse einer gesunden Siedlungsentwicklung stillen können. Nachhaltigkeit bedeutet nicht, neu zu schaffen, sondern bestehende Ressourcen neu zu denken. Dies bedingt, dass Huttwil sich getraut, tradierte Bilder von Gemäuer und deren Leben neu zu denken.

Daniel Baur, Dozent für Landschaftsarchitektur

2. Zentralität:
Projekte, welche den Städtlikern von Huttwil aktivieren und das Entwicklungspotential aufzeigen.

Wer für ein Wochenende in eine fremde Stadt reist, besucht in der Regel deren Zentrum mit der Altstadt und berichtet dann stolz, die Stadt gesehen zu haben. Genau genommen hat er sich vermutlich in einem Bereich aufgehalten, der höchstens 10% der gesamten Stadt ausmacht. Wer aber Freunde in einem Neubauquartier besucht und dabei die Altstadt links liegen lässt, wird sagen, er habe die Stadt nicht wirklich gesehen, obwohl auch er vermutlich 10% von ihr durchfahren hat. Die beiden Beispiele zeigen, dass wir dazu neigen, die Altstadt für die gesamte Stadt zu nehmen und die weit umfangreicheren Aussenquartiere für unbedeutend zu halten. Diese Werthaltung hat zur Folge, dass Entwicklungsprobleme in einer Altstadt als sehr gravierend und als Krise der gesamten Stadt betrachtet werden.
Huttwil steckt in einer solchen Krise: Viele seiner Bewohnerinnen und Bewohner sind in die zahlreichen Neubauten an der Peripherie gezogen. Der Siedlungskern leidet seit längerem unter Verkehrslärm (Stand 2018) und neu nun auch unter wachsendem Leerstand und der Detailhandel klagt über Stagnation. Dem von den Huttwiler*innen liebevoll als «Stedtli» bezeichneten Zentrum droht der langsame Zerfall.
Jede Krise eröffnet auch neue Möglichkeiten: Der Leerstand lädt ein, neue Ideen zu realisieren. Dabei gilt es, die oben beschriebene, hohe Wertschätzung, die ein historisches Zentrum in der Regel geniesst, für Huttwil wieder zu entdecken und neu zu interpretieren. Dabei muss man den Charme der historischen Siedlung stützen und stärken, damit die Huttwiler*innen wieder stolz auf ihr «Stedtli» werden. Das Zentrum hat etwas, was die derzeit attraktiv erscheinende Peripherie nie haben wird, und darum wird es mittelfristig gestärkt aus der Krise hervorgehen, vorausgesetzt, dass jetzt die richtigen Weichen gestellt werden.

Wohin geht die Reise?

PD.Dr. Dieter Schnell, Professor für Kulturtheorie

3. Wohnformen:
Projekte, welche nach zukunftsträchtigen und anpassungsfähigen Wohn- und Gebäudeformen suchen.

Obwohl Familien (oder besser gesagt Mehrpersonenhaushalte ab drei Personen) längst nicht mehr die Mehrheit aller Schweizer Haushalte stellen, scheinen gerade im ländlichen bzw. kleinstädtischen Umfeld das traditionelle Einfamilienhaus oder die Familienwohnung die bevorzugten Bauformen zu sein. Die Beiträge zum generationsübergreifenden Wohnen oder zu Wohngemeinschaften für unterschiedliche Lebensabschnitte finden sich vor allem in den grösseren Städten. Liegt es
an den Organisationsformen der Bauträger wie Genossenschaften, die in den Städten eher zu finden sind? Oder gibt es diese Wohnbedürfnisse jenseits der städtischen Zentren gar nicht? Historisch kennt man im ländlichen Raum das «Stöckli» als zweite Nutzungseinheit einer Parzelle. Gerade das Einfamilienhaus ist oft nicht die Wohnform für ein ganzes Leben, sondern für eine bestimmte Lebensphase. ... Gesellschaftlich bahnen sich einige Veränderungen an. Teilen oder neudeutsch «Sharing» wird salonfähig. ... Mobile Wandlungen von Wohn- und Schlafbereichen zu Arbeitsplätzen gewinnen an Bedeutung. ... Die Moderne des 20. Jahrhunderts propagierte die Funktionstrennung von Wohnen und Arbeiten im Städtebau. Der Individualverkehr machte Pendeln möglich und um die Stadtzentren entstanden grossräumige Agglomerationen. Dörfer wurden zur Vororten und Schlafdörfern. Schon vor Corona stellte man sich die Frage, ob Homeoffice nicht auch eine attraktive Arbeitsform sein kann. Durch Corona hat diese Arbeitsform eine ungeahnte Dimension bekommen. Gezeigt hat diese unfreiwillige Verordnung jedoch, dass unsere Wohnungen und auch
Häuser darauf nur schlecht vorbereitet sind. Unvergessen werden die zu Büros umfunktionierten Kellerräume sein. Doch einiges gerät in Bewegung und das vermutlich dauerhaft. Der Arbeitsplatz wird mobil(er) und das hat Konsequenzen auf künftige Planungen. Für Huttwil bedeutet dies, dass man der Entleerung des historischen «Stedtlis» gerade mit der innovativen Kombination von Wohnen mit Arbeiten in doppelter Hinsicht entgegnen kann.

Dr. Ulrike Schröer, Professorin für Entwurf und Architektur

 

PDF drucken